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Er flüchtete vor den Häusern der Stadt, die sich bald nur noch als Schatten am Horizont abzeichneten, denen er aber stets noch einen Blick über die Schulter zuwarf, manchmal in der Hoffnung, sie mögen doch mit allem Leben in sich versteinern. Er wollte hinunter von den Straßen, eine letzte Geschichte außerhalb der Stadt platzieren. Die Sonne brannte und es roch nach müdem Asphalt. Er bog am hinteren Marktplatz ab, zog durch den botanischen Garten, durch die Anlagen der Kliniken, die er nicht wegdenken konnte, nicht wegdenken wollte, kam endlich beim Berg und bei den Wäldern an. Er schlug sich zwischen den Bäumen durch. Unter ihm knackten das trockene Holz, es hatte lange nicht mehr geregnet. Nach etwa eineinhalb Kilometern hob sich der Boden an und führte ihn eine Anhöhe hinauf. Dort fand er die Mauer. Sie war dreimal so groß wie er und knapp zweihundert Meter lang. Sie ließ sich ohne Probleme umgehen, obwohl sie ihm mitten im Weg stand. Erschöpft und mit vorsichtigen Schritten näherte er sich der Mauer und sah die Buchstaben, die winzig kleinen Buchstaben, und er stand an der Mauer und las die fünfundneunzig Geschichten, bevor er die sechsundneunzigste Geschichte fand und las, in der es um ihn ging. Er fühlte eine ungeheure Erleichterung, als die Geschichten für ihn ein Ende fanden. Dann legte sich die Nacht auf die Stadt, die Mauer und auf ihn und die Buchstaben versanken in ihrer Dunkelheit, als ob sie nie jemand gelesen oder geschrieben hätte.


Liebe Leser von Geschichten aus zwei Städten,

es haben sich nun sechsundneunzig Bilder und Texte in mehr als drei Monaten angesammelt, mit denen wir euch hoffentlich ein wenig Kurzweil bieten konnten. Im Hintergrund laufen bereits ein paar spannende Projekte, zu denen wir euch in der nächsten Zeit hier Infos geben werden. Bis dahin schrauben wir ein wenig den Rhythmus runter und tanken neue Energie. Aber keine Angst: Der Blog bleibt euch erhalten und wir liefern weiterhin. Nur eben vorerst nicht mehr täglich. Bleibt gesund und habt eine gute Zeit.

Julien und Björn

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Der Wald als Sehnsuchtsort. Dort stehen in der Mitte des Landes neunhundertvierunddreißig Nadelbäume dicht gedrängt und beherbergen vierzehntausendeinundsiebzig Insekten sowie vierhundertsieben Tiere wie Nasenmaulwürfe, Waldmäuse und Rüsselmarder. Sie alle laufen über den weichen Waldboden, auf dem sich Tannenzapfen und Moos sammeln. Die Luft ist stets erfüllt von dem Brüllen der Vögel. Unter diesem weichen Waldboden liegen auch die zwei toten Körper der Kinder, die es einst hierhin verschlagen hatte, ausgesetzt von ihren Eltern. Sie suchten nach einem Ausweg aus dem Wald und rannten doch nur verzweifelt im Kreis wie die Gedanken der Menschen, die sich die wildesten Märchen zu ihrem Verschwinden ausdachten, in denen Hexen und Lebkuchenhäuser, Rehe und Jäger vorkamen. Am Ende blieb den Kindern nur der Hungertod. Vor allem ihre Zähne sind heutzutage noch gut erhalten, wie sie dort zusammengepresst unter dem Moos liegen. Manchmal kreischt heute noch eine Elster auf den Ästen über ihnen. 

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Ich sitze an dem Tisch in der Sonne und sehe, wie das Mädchen verschwindet. Zwei Männer neben sich. Sie tragen es nicht, sie zwingen es nicht, trotzdem gehen sie neben ihm, als sei dies der einzige Weg, den sie ihmanbieten könnten – eben einfach weg von hier. In diesem Moment wird es merkwürdig laut in der Straße. Es sind kaum Menschen unterwegs, doch ihre Stimmen fluten die Gassen der Innenstadt. Auf dem Kopfsteinpflaster vor mir läuft eine Taube vorbei und nickt stoisch mit ihrem Kopf, als müsste sie sich stets selbst der Welt versichern. Das Mädchen geht mit den Männern um die Ecke und es wird auf einmal alles wieder normal und ein wenig Stille kehrt zurück. Den Espresso trinke ich ohne Zucker. Dann stehe ich auf und verschwinde, ohne zu zahlen.

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