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DIE BESCHWÖRUNG DES SPIEGELS



Als Caelius aus seinem letzten großen Traum aufwachte, schlug er die Augen auf und fand sich in einer ihm unbekannten Welt wieder. Nicht dass er sich nicht in seiner Umgebung zurechtfand. Er lag in seinem Bett, das in seinem Zimmer in der kleinen Wohnung stand, gelegen im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses – doch von da an verließ ihn seine Orientierung. Er stand am Fenster und blickte auf Straßen, die ihm fremd waren, in einer Jahreszeit, die er nicht verstand, zwischen einer ihm nicht vertrauten Zeit und einem verwachsenen Wohnwagen seiner Wohnung gegenüber. Caelius zog die Augenbrauen zusammen und überlegte, doch ihm fiel nur sein letzter großer Traum ein, dessen Bedeutung sich ihm nicht erschloss. Darin verfolgte ihn die Melodie eines staubigen Klaviers, er floh in eine Tankstelle, fand dort aber niemanden, nur hinter den Mülltonnen neben der Waschanlage hörte er das Atmen des Gebäudes. Ob seine Flucht erfolgreich war, vermochte er nicht zu sagen, doch zerfiel ihm der Traum mit jedem Gedanken mehr, bis er in den Splittern einer Geschichte stand, die er nicht mehr verstand, von der er aber wusste, dass sie einmal in sich eine Logik gehabt haben musste und sei es das Spiegeln in zwei Spiegeln, die einen kurzen Moment die Unendlichkeit aufreißen. Er packte keine Sachen, schaute nicht zurück in die Wohnung, dachte nicht an Liva, er verbot es sich, dann ging er los, den bekannten Flur hinunter zum Aufzug. Unten schritt er über die Straße und zog die Seitentür des alten Wohnwagens auf. Es roch nach verbranntem Dreck. Zwischen den Sitzen und einem Holztisch legte er sich dort auf den Boden, seinen Blick an die Decke gerichtet, auf die Buchstaben und Formeln der Flechten. Er lag und lauschte auf den Wind, der gegen die Fenster drückte. Dann schlief er einen traumlosen Schlaf, aus dem er später unruhig erwachte.


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