IN WÄNDEN VERSCHWINDEN

Es ist gemeinhin bekannt, dass manchen Menschen die Fähigkeit gegeben ist, durch Wände gehen zu können. Einst als Zaubertrick verrufen, lockte der Anblick einer Person, die auf der einen Seite einer Wand verschwindet und auf der anderen Seite auftaucht, bald niemanden mehr aus der Reserve, so alltäglich war die Sache. Jedoch sorgen die zugehörigen Zwischenfälle noch heutzutage für Schlagzeilen in den mittelgroßen Zeitungen der Republik. Zuletzt die Geschichte von Julia Spekter, die durch die Wand eines Reihenhauses gehen wollte, um zwei Freunde von ihrem Können zu überzeugen. Doch sie tauchte weder im Inneren des Hauses, genauer im Wohnzimmer im freien Platz zwischen Schrankwand und Glasvitrine mit gesammelten Figuren aus Kirschholz, einer Kunst aus dem Schwarzwald, noch wieder im Garten auf, wo ihre beiden Freunde mindestens zwanzig Minuten warteten, bis sie an der Haustür klingelten und die Rettungskräfte riefen. Es ließ sich nicht rekonstruieren, was mit Julia Spekter passierte. Auch in der Wand fand man sie nicht. Auf Klopfzeichen gab es keine Antwort. Die Geschichte geriet kurz in die Presse, bevor sich niemand mehr an sie erinnerte. Dreiundvierzig Jahre später riss man das Gebäude ungeachtet dessen ab. Und hätten die Arbeiter Julia Spekter gekannt, sie hätten beim Abriss bemerkt, dass der Duft ihres Parfüms zwischen Staub und Geröll einen Moment in der Luft lag.