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NEUNUNDNEUNZIG JAHRE EINSAMKEIT



An einem Samstagabend fing Arn damit an, sich im Wasser seiner Badewanne aufzulösen. Er hatte keinen besonderen Entschluss dazu gefasst, vielmehr war es ein Gedanke, der ihm einfach so kam, während das lauwarme Wasser um seinen Körper floss. Zuerst lösten sich nur kleine Teile seiner Haut und vermischten sich mit dem Wasser; ein Austausch fand statt, so wie zwischen Radfahrer und Sattel, zu deren Verhältnis mehrere Studien aussagten, dass ihr Materietausch während des Fahrens eine Unterscheidung zwischen Fahrrad und Radfahrer ab einer gewissen Zeit unmöglich macht. Doch Arns Auflösung lief weitaus schneller, schon verschwanden seine Hand, dann sein Arm, dann Teile seines Brustkorbs, und eine Unterscheidung brauchte es dann bald nicht mehr, denn nach neunundneunzig Minuten, die sich wie Jahre in dem Badezimmer erstreckten, waren dort in der Wanne nur noch Arn in seinem flüssigen Zustand, verteilt in den Kubikmetern aus Wasser und Schaum und Flusen, und die Kette des Abflussstöpsels schlug dazu einen traurigen, langsamen Takt gegen den Wannenrand. Arns Freundin fand ihn in der Nacht. Und es mag sein, dass stille Wasser tief sind, doch zumindest in den folgenden Stunden sollte sie ab und an noch Arns Umrisse auf der Oberfläche des Wassers erkennen, bis die Sonne endlich die Nacht vertrieb.


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